Humanistisches Psychodrama

Hans-Werner Gessmann

1980 ordnete Hilarion Petzold das Psychodrama als Methode in die Humanistische Psychologie ein. Er meint, dass das Psychodrama als die „älteste Methode humanistischer Psychotherapie bezeichnet werden und Moreno als Begründer des Psychodramas selbst als der Nestor und bedeutendste Pionier dieser Bewegung gesehen werden könnte. Die wichtigsten Konzepte der Humanistischen Psychologie seien von Moreno bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren entwickelt worden, lange bevor ROGERS, PERLS, MASLOW und die vielen anderen der „Dritten Kraft“ ihre Ideen und Verfahren konzipiert hätten. Nun ist in der Tat richtig, dass Moreno Vorläufer, Anreger, Inspirator für einige der genannten Protagonisten gewesen ist. Er hat sich jedoch nie ausdrücklich der entstehenden Richtung der Humanistischen Psychologie zugerechnet. Vielmehr war es ihm daran gelegen, das Moreno-Psychodrama als eigenständiges Verfahren der Gruppenpsychotherapie – vor allem in Abgrenzung zur Psychoanalyse – zu etablieren. Seine Pionierleistungen in der psychologischen Gruppenarbeit hat er 1966 als „Third psychiatric revolution“ bezeichnet. Nicht die Humanistische Psychologie sollte die „Dritte  Kraft“ sein, sondern sein Psychodrama, seine Soziatrie. J. L. Moreno stand mit seiner Persönlichkeit und den damit verbundenen Ansprüchen nach Originalität und Urheberschaften, seinem Prophetentum, seinem Egotismus der Integration seiner Gedanken in eine psychologische Bewegung im Wege. Mir scheint, er wollte dies gar nicht. In seinem Spätwerk entwickelte er eine religiöse, kosmologische Weltschau. Er schreibt 1959: „Die neuen Werte sind kosmo-dynamischer Natur. Die neuen Lebenskräfte werden dem Menschen aus seiner kosmischen Verbundenheit zufließen.“ (Moreno, S. 8)

Das Klassische Psychodrama Morenos, hier in Deutschland im wesentlichen durch Grete LEUTZ vertreten, hat inzwischen Neu- und Weiterentwicklungen erfahren. Eine erste Variation des ursprünglichen Settings nahm die Moreno-Schülerin Heike STRAUB vor: Sie bezieht viel stärker gruppendynamische Vorgehensweisen und Methoden anderer Psychotherapien in das Psychodrama mit ein. Immer wieder sind die Methoden des Psychodramas in psychoanalytischen Therapien zur Anwendung gebracht worden. Adolf FRIEDEMANN in der Schweiz und in Frankreich Serge LEBOVICI, später ab 1950 Didier ANZIEU, BASQUIN, WIDLÖCHER u. a. nutzen das Psychodrama in einem zum Teil noch orthodoxen-psychoanalytischen Konzept. ERDMANN und HENNE sehen Gemeinsamkeiten zwischen MORENOS Psychodrama und der analytischen Psychologie nach C. G. Jung insbesondere im Ziel des therapeutischen Geschehens: Das eigene Wesen soll in seiner Ganzheit entdeckt, eine Begegnung mit dem eigenen Selbst, eine Vergrößerung der individuellen Autonomie und der Soziabilität erlangt werden. Soziale Phänomene verbinden Alfred ADLER und J. L. MORENO, so dass Adlerianische Therapeuten wie z. B. ANSBACHER, ACKERMANN, CORSINI und DREIKURS begannen, psychodramatische Methoden zu praktizieren ohne jedoch auf MORENOs theoretische Konzepte zurückzugreifen. Verhaltenstherapeutische Rollenspiele sind schon früh in den 40er Jahren von ZANDER und LIPITT aus der interventionssoziometrischen Praxis MORENOs hergeleitet worden. Rollenspiele werden seitdem immer wieder zum Training erwünschter Verhaltensweisen eingesetzt. Unter dem Einfluss der kognitiven Verhaltenstherapie  und des multimodalen Ansatzes von LAZARUS gewinnt das Rollenspiel große Bedeutung. PETZOLD hat ab 1969 versucht, dass Psychodrama mit der Verhaltenstherapie zu verbinden. Sein „Behaviordrama“ versteht er als Ausdruck der Präzisierung der verhaltenstherapeutischen Elemente im Psychodrama, so wie er auch darum bemüht ist, die psychoanalytischen Elemente des Psychodramas frei zu arbeiten. (Petzold in Völker, S. 211) Das Tetradische Psychodrama soll eine Integration der verschiedenen Psychodrama-Richtungen leisten.  SCHÜTZENBERGER versucht die Theoriebildung FREUDs, MORENOs und LEWINs unter Hinzuziehung humanistisch-psychologischer Ansätze von ROGERs zu vereinen. Ihre theoretischen Ausformulierungen bleiben konfus, wobei ihr Bemühen zu sehen ist, eine integrative Psychodramatherapie zu schaffen. PETZOLD hat dann – wie er sagt – Bausteine für eine integrative Dramatherapie entwickelt, damit das Tetradische Psychodrama begründet, indem er MORENOs Psychodrama, das therapeutische Theater von IILJINE in Verbindung  mit der Gestalt- und Bewegungstherapie vereint. Auf eine Initialphase folgt eine Aktionsphase, der wiederum eine Integrationsphase, die mit einer Phase der Neuorientierung abschließt. Eigentlich hat er nicht mehr geleistet, als dem klassischen Drama der Antike mit den Phasen Protasis, Peripeteia, Lysis die Phase des Eintrainierens neuer Verhaltensweisen, ein Rollentraining hinzuzufügen.

Das Humanistische Psychodrama ist eine neue Form des Psychodramas. Nach einer Rückbesinnung auf MORENOs ursprüngliche Gedanken, einem  Ernstnehmen von dem, was er gewollt hat, begann im Humanistischen Psychodrama eine Neuformulierung von Ideen und Theorien. Sie bezieht sich sowohl auf MORENOs Konzepte als auch auf neu gewonnene Erkenntnis aus der sehr intensiven Praxis des Humanistischen Psychodramas von 1980 bis heute. Durch die Integration in die Humanistische Psychologie wurde es notwendig, die Ziele und Methoden neu zu bewerten und  zu beschreiben.

In den Mittelpunkt gerückt ist die individuelle Verantwortung des Menschen für sich selbst und für die Gemeinschaft. Das Ziel der Selbstverwirklichung des Einzelnen wird gemeinsam in der Gruppe und mit Hilfe der Gruppe verfolgt.

Das Menschenbild der Humanistischen Psychologie wird übernommen:

•   Der Glaube an die Möglichkeiten der Selbstentfaltung und -verwirklichung des Individuums,

•   die eigene Akzeptanz und die Akzeptanz der anderen Gruppenmitglieder,

•   Hoffnung und Verantwortung für menschenwürdigeres Leben in dieser Welt,

•   Verzicht auf absoluten Wahrheitsanspruch und Autorität.

Hier ist jeder Mensch autonom und gleichzeitig sozial eingebunden, er ist für sein Leben verantwortlich.

Das bedeutet für die Therapie im Humanistischen Psychodrama, dass der einzelne in seinem sozialen Umfeld aufgerufen und fähig ist, zu lernen und sich zu verändern. Es bedeutet auch, dass ihm die Verantwortung vom Therapeuten nicht abgenommen werden darf, indem dieser ihn von außen „behandelt“, sondern er ermutigt werden kann, sich selbst zu erforschen, seine Ziele zu definieren und sie anzugehen. Die Eigenverantwortlichkeit bleibt beim Klienten. Der Klient erfährt im therapeutischen Prozess, dass er bewusst Wahlen und Entscheidungen trifft und dafür die alleinige Verantwortung übernimmt. Er trifft z.B. die Wahl, welches Thema er in der Gruppe bearbeiten möchte, in welcher Szene sich sein Thema repräsentiert und mit welchen Gruppenmitgliedern er die therapeutische Arbeit durchführen möchte. Auch wählt jedes Mitglied einer humanistischen Psychodramagruppe das Maß, in dem es seine Anliegen in die Gruppe gibt und bearbeitet. Der Therapeut hat die fachliche Kompetenz, den Veränderungsprozess zu fördern. Da psychodramatisches Arbeiten Ausdrucksarbeit des Einzelnen in und mit Hilfe der Gruppe ist, bekommt – wie die Therapeuten-Klienten-Beziehung – die Gruppe eine große Bedeutung, die als Hilfs-Ich oder Doppel die Ausdrucksarbeit ermöglicht und gestaltet.

Mit Hilfe des Therapeuten richtet der Protagonist eine Spielszene ein, in der die konfliktträchtige Art und Weise, Situationen zu erleben und zu verarbeiten, besonders deutlich wird. Der Protagonist repräsentiert dabei mit seinem Thema zugleich thematische Anteile der anderen Gruppenmitglieder. Die dem Protagonistenspiel vorausgehende Erwärmungsphase zu Beginn einer Gruppensitzung ermöglicht zunächst jedem Gruppenmitglied, sein Thema zu finden, es in den Gruppenprozess einzubringen, so dass eine gemeinsame Ausdruckslage innerhalb der Gruppe entstehen kann. Die Erwärmungsphase wird durch die soziometrische Wahl abgeschlossen. Die Gruppe wählt ihren Protagonisten. Dabei ist die Protagonistenwahl als soziometrische und thematische Kristallisation durch mehr oder minder bekannte eigene thematische Anteile der Gruppenmitglieder bestimmt. In ihr manifestieren sich die thematischen und soziometrischen Verbindungen, die in der Erwärmungsphase stattgefunden haben. Der Gruppenprozess konzentriert sich auf ein gemeinsames Arbeitsthema, welches an ein Gruppenmitglied gebunden ist, die Aufmerksamkeit der Gruppe wird hierdurch gebündelt. Die Protagonistenwahl ist somit eine sich kristallisierende Verdichtung bestimmter eigener thematischer Anteile der Gruppenmitglieder. Das nun folgende Protagonistenspiel stellt eine intensive Kommunikationsform mit der Gruppe dar und ist so ein Bestandteil zur Ausbildung von kongruenten Beziehungsstrukturen innerhalb der Gruppe. Die Darstellung und Gestaltung des Protagonisten ist immer auch ein darlegendes „Gespräch“ mit der Gruppe. An diesem „Gespräch“ beteiligt sich die Gruppe spielimmanent durch Doppeln und Hilfs-Ich-Spiel als auch im abschließenden Sharing. Es ist von Bedeutung, welches der Gruppenmitglieder jeweils als Hilfs-Ich vom Protagonisten ausgesucht wird. Die Wahl des Hilfs-Ichs ist nicht beliebig, sondern ist auf einer Beziehung begründet, die emotional und inhaltlich eine Verbindung von biographisch gegenwärtiger Gefühlslage beim Protagonisten und soziometrischer Aktualität in der Gruppe ist. Das heißt, die Beziehungen in der Gruppe sind nicht nur als Fundament des Rollenspiels zu verstehen, sondern sie gehen in das Rollenspiel mit ein.

Die Mitspieler und der Therapeut unterstützen den Protagonisten im Psychodramaspiel in der Darstellung seiner subjektiv erlebten Wahrheit und Erlebniswelt. Es ist nicht die Aufgabe der Mitspieler, in ihren Rollen als Hilfs-Ich oder Doppel zu improvisieren, sondern sie sollen durch den Rollentausch die Vorstellungswelt des Protagonisten übernehmen und in seinem Sinne, in seiner Rollenauslegung und Rollendeutung gestalten. Der Protagonist gibt die Rolle vor, indem er zunächst in einem Rollentausch die Rolle des Hilfs-Ich konkretisiert. Die Mitspieler werden so als Hilfs-Ich in die Vorstellungswelt des Protagonisten eingeführt, um sie dann in seinem Sinn einfühlend zu gestalten. Für den Protagonisten entsteht hieraus das einheitliche Empfinden, sich in einem idealen Maße selbst zu verwirklichen. Er wird zum Mittelpunkt, zur wichtigsten Person seiner eigenen Welt, er lässt seine eigene Autorität und seine eigene Kompetenz entstehen. Er beginnt, frei zu handeln, seine Welt kreativ wirkungsvoller zu strukturieren. Nicht nur Personen aus dem sozialen Umfeld des Protagonisten, sondern auch Gedanken, Vorstellungen und Gefühle können von Gruppenteilnehmern in ihrer Rolle als Hilfs-Ich dargestellt werden. Dadurch wird dem Protagonisten ermöglicht, sie von außerhalb zu betrachten, sie näher kennenzulernen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, sie zu modifizieren oder sich gegen sie abzusetzen.

Indem der Protagonist seine Welt auf der Bühne entstehen lässt, entdeckt er neue Aspekte seiner Lebenssituation, die bislang einen anderen Stellenwert für ihn hatten bzw. bislang fehlten. Er erlebt durch die Darstellung seiner innerlichen Gedanken, Vorstellungen, Phantasien, durch die Externalisierung dieser, mit Hilfe der spielenden Hilfs-Iche einen veränderten Sinnzusammenhang, der es ihm ermöglicht, sich von alten Wirklichkeitskonstruktionen zu lösen bzw. diese zu verändern, sich selbst auf eine angemessenere Deutung seiner Welt zu verwirklichen.

Jedes Gruppenmitglied ist grundsätzlich zum Doppeln aufgefordert, wobei es selbst entscheidet, ob und wie häufig es sich aktiviert. Unter einem emanzipatorischen Gleichgewicht von Nehmen und Geben, ist dies für jedes Gruppenmitglied ein längerer Prozess, an dessen Ende durch Zusehen und eigenes Probieren die Erkenntnis wächst, dass das Engagement für andere Unabhängigkeit und Bereicherung bedeutet und dass es befriedigend und wertvoll ist, innerhalb des Gruppengeschehens etwas von anderen anzunehmen, andere zu verstehen, ihnen nahe und als Person wichtig zu sein und mit ihnen gemeinsam einen Weg zu gehen.

Je mehr ein Gruppenmitglied die Chance nutzt, im Laufe der Therapie ein „Doppel“ zu werden, desto besser lernt es, durch Einfühlung andere Menschen zu verstehen. Dies baut bei ihm soziale Ängste in der Gruppe aber auch im Alltagsleben ab. Es hat im Laufe der Psychodramaarbeit viele Rollen von anderen Menschen kennen gelernt und die  Sicherheit gewonnen, damit umzugehen. Es steht ihnen nicht mehr fremd gegenüber, sondern teilt sich anderen mit und findet mit ihnen gemeinsam einen Weg zur Verständigung. In Folge dessen wächst im Laufe des Therapieprozesses die Bereitschaft, die anderen Gruppenmitglieder als auch im weiteren Sinne die Menschen im sozialen Umfeld zu akzeptieren und zu wertschätzen wie sie sind und sie in ihren Möglichkeiten und Grenzen zu begreifen.

Grundlegende Absicht im Humanistischen Psychodrama ist es, innerhalb des Gruppengeschehens die selbstständige Entwicklung der Gruppenteilnehmer zu ermöglichen und zu fördern. Alle psychodramatischen Methoden sind dieser Zielsetzung untergeordnet. Sie beziehen sich auf den Gruppenteilnehmer, die Gruppe als Ganzes und zentrieren sich auf den Protagonisten als Repräsentanten der Gruppe. Die Gruppenteilnehmer bestimmen Inhalt und Ausmaß ihrer Aktivitäten, lediglich begrenzt durch die soziale Gruppenrealität.

Vertreter des Humanistischen Psychodramas glauben, dass dem Menschen ein natürliches Bedürfnis innewohnt, zu wachsen und sich selbst zu verwirklichen.

Im therapeutischen Gruppenprozess kann auf dieses Bedürfnis zurückgegriffen werden. Es ermöglicht dem Leiter und den Gruppenmitgliedern ein nicht wertendes, gelassenes Vertrauen, dass der therapeutische Prozess fortschreitet, und dass der Klient, eingebunden in sein soziales Umfeld, aus eigener Kraft zu sich selbst findet.

Im Humanistischen Psychodrama wird in Anlehnung an die Humanistische Psychologie ein positives Bild des schöpferischen, kreativen Menschen vertreten, sowohl hinsichtlich der individuellen Entwicklung als auch der konstruktiven und kreativen Auseinandersetzung in Beziehungen mit anderen Menschen und der Welt. Der Mensch als lebendiger Organismus ist aktiv und strebt danach seine schöpferischen Fähigkeiten zu entfalten. Selbstaktualisierungstendenzen sind grundlegende Antriebskräfte des Organismus, die in ständigem Austausch mit der Umwelt bei günstiger Konstellation vorhandene Fähigkeiten weiter entfalten und ausdifferenzieren lassen. Der menschliche Organismus ist auf Selbstverwirklichung, Werte, Sinn, Ziele, auf seine Tendenz zur „guten Gestalt“ und zur Grenzüberschreitung gerichtet, Selbstverwirklichung und ganzheitliches Wachstum sind seine Intention, sind ein Charakteristikum der menschlichen Existenz. Jeder Mensch besitzt grundsätzlich die Fähigkeit, seine Persönlichkeit, sein Verhalten und Erleben selbstständig in Richtung auf Reifung und Selbstverwirklichung prozesshaft zu entwickeln. Das Selbst befindet sich in einem kontinuierlichen Veränderungs- und Entwicklungsprozess.

Im Humanistischen Psychodrama sind Selbsterfahrung und Selbstverwirklichung wesentliche Aspekte im therapeutischen Prozess. Für das Gruppenmitglied sind immer die subjektiven Erlebnisse, Gefühle und Gedanken und die eigenen Erfahrungen Ausgangspunkt für eine Veränderung oder Neuorientierung in seinem Erleben und Verhalten in Richtung auf mehr Zufriedenheit und Selbstakzeptanz. Sie stehen zugleich jedoch immer auch in Bezug zur sozialen Realität. In der praktischen therapeutischen Arbeit ist die Auseinandersetzung mit der Biographie des Einzelnen eng verbunden mit der Soziometrie der Gruppe. Indem es dem Individuum gelingt, eine Balance zwischen personaler und sozialer Identität herzustellen, kann sich Zufriedenheit entwickeln. Das Selbstwertgefühl des Menschen entsteht, wenn der Mensch seinen Wunsch nach Selbstachtung und sozialer Anerkennung verwirklichen kann.

Der gruppentherapeutische Ansatz im Humanistischen Psychodrama bietet damit gute Voraussetzungen und Möglichkeiten für die Gruppenteilnehmer ein Gleichgewicht, eine Balance zwischen personalen und sozialen Anteilen des Selbst herzustellen und zu realisieren.

Alles psychische Geschehen ist zielgerichtet und bedeutungsvoll.

Die Suche nach Sinn und Erfüllung, auch über die eigene Existenz hinaus, ist als wesentliche Motivation des Menschen zu berücksichtigen. Im Sinne der Psychodramatherapie kann sie Anstoß sein, die Beziehungen zu Menschen des sozialen Umfeldes zu untersuchen und zu verbessern, weil nur hierdurch die Erfahrung des Einzelnen in der Interaktion und Kommunikation mit den Mitmenschen eine Öffnung und Erweiterung erfährt, die sein Lebensbild ergänzen und verändern.

Der Mensch ist nur als ganzheitliches Wesen zu verstehen, als handelndes Subjekt in seinem sozialen Umfeld.

Im Humanistischen Psychodrama werden nicht einzelne Störungen behandelt, der ganze Mensch mit seiner individuellen Lebenssicht steht im Mittelpunkt des Veränderungsprozesses. An ihm orientieren sich der Therapeut mit seinen Methoden und die anderer Gruppenmitglieder in der Mitgestaltung des gruppentherapeutischen Geschehens. Dabei werden humanistische Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde vom Therapeuten vertreten und fließen in seine Haltung und seine Methoden mit ein, sie dienen dem Prozess der Normenbildung in der Gruppe.

Der Aspekt der Ganzheitlichkeit ist im Humanistischen Psychodrama auf mehreren Ebenen bedeutsam:

Auf der individuellen Ebene meint er den Menschen als psycho-physisches Ganzes. Der Mensch ist hinsichtlich seiner verschiedenen Systeme wie Denken, Gefühle, Körper ein Ganzes. Der Mensch ist als Einheit von Leib, Seele und Geist zu betrachten, als auch als Einheit von Mensch und Umwelt. Im Psychodrama findet die subjektive Welt der Teilnehmenden in allen möglichen Facetten menschlicher Realität Platz. Ganzheitlichkeit meint somit auch das Spektrum der individuellen Themen. Nicht die Behandlung einzelner Störungen, sondern der ganze Mensch mit seiner individuellen Sicht auf das Leben steht im Mittelpunkt.

Zugleich bezieht der Aspekt der Ganzheitlichkeit also auch die soziale Bezogenheit des Menschen mit ein, der Mensch als psycho-physisches Sozialwesen. Als Gruppentherapeutisches Verfahren verfügt das Humanistischen Psychodrama durch die Gruppenrealität sozusagen über ein eingebautes Realitätskriterium. Die Gruppe ist für den Einzelnen ein Gegenüber, das sich ansprechen und berühren lässt von seinen Problemen, Gefühlen und Mitteilungen. In der Gruppe ereignen sich intensive Kommunikationsprozesse und es kann somit der sozialen Verfasstheit des Einzelnen entsprochen werden.

Im therapeutischen Prozess spielt der Aspekt der Ganzheitlichkeit auch die Art des therapeutischen Vorgehens an, d.h. das Psychodrama ist keine „Redekur“, ist nicht nur auf Sprechen und ist nicht nur dyadisch ausgelegt. Das Psychodrama ist im Rahmen seiner grundlegenden Struktur geöffnet für eine Vielzahl von Methoden.

Das Psychodrama ist nicht so sehr auf Analyse, sondern mehr auf Integration ausgelegt; Konflikte basieren nicht allein auf Szenen bzw. Ursprungsszenen der Vergangenheit, sondern sind stets gegenwärtig aktualisierte und selbst konstruierte Themen. Sie spielen im Hier und Jetzt.

Humanistisches Psychodrama findet im „Hier und Jetzt“ statt

Für viele Menschen ist es einfacher, sich mit ihren Gedanken und Gefühlen in der Vergangenheit oder in der Zukunft aufzuhalten als in der Gegenwart. In Folge dessen beginnt für sie das „eigentliche Leben“ erst in der Zukunft oder es hat bereits in der Vergangenheit stattgefunden. Somit findet eine Flucht vor der Auseinandersetzung mit den aktuellen Lebensthemen statt, das darin liegende Entwicklungspotenzial bleibt ungenutzt.  Ein wichtiges Ziel der humanistischen Psychodramatherapie ist die Konzentration auf die Gegenwärtigkeit. Humanistisches Psychodrama findet im Hier und Jetzt statt, unabhängig davon, ob  das zu bearbeitende Thema in einer Szene aus der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft seinen Ausdruck findet oder ob es durch eine Szene repräsentiert wird, die nicht an ein reales Ereignis angelehnt ist. Dabei soll jedoch das Hier und Jetzt in der Ganzheit von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft begriffen werden, da sich die Bedeutung der Gegenwart sowohl aus dem Erlebten der Vergangenheit als auch aus dem Wissen über die Möglichkeiten der Zukunft ergeben.

Der Leiter hat dabei die Aufgabe dafür zu sorgen, dass der Protagonist und die Hilfs-Ichs in der Szene, in ihrer jeweiligen Rolle und im Hier und Jetzt bleiben, statt in die Metakommunikation zu gehen, indem sie berichten, wie sich die Szene in der Vergangenheit abgespielt hat oder in der Zukunft vermutlich abspielen würde. In der Bearbeitung des Themas hilft der Leiter dem Protagonisten herauszufinden, welches Thema in den Vordergrund tritt und mit welchen gegenwärtigen Gefühlen und Bedürfnissen es verknüpft ist. Dabei soll der Protagonist erfahren, „was“ er im Moment wahrnimmt, dass beispielsweise sein Herz schneller schlägt, er eine andere Körperhaltung einnimmt oder sich ein Gefühl in ihm zu verändern beginnt und nachzuvollziehen, „wie“ es dazu gekommen ist und welche Bedeutung er seiner Wahrnehmung im Hinblick auf sein gegenwärtiges Thema verleiht.

Die nicht-direktive Grundhaltung im humanistischen Psychodrama, getragen von Empathie, Wertschätzung und Kongruenz

Das Humanistische Psychodrama hat – besonders was die Einstellung und Haltung des Leiters bzw. Therapeuten angeht – deutliche Parallelen zur Gedankenwelt von C. R. ROGERS. Was ROGERS den personenzentrierten Ansatz nannte, ist im Humanistischen Psychodrama der protagonistenzentrierte Ansatz.

Der Leiter des Humanistischen Psychodramas orientiert sich an den Vorgaben bzw. dem emotionalen Erleben des Protagonisten. Er ist dafür verantwortlich, dem Thema des Protagonisten in seiner subjektiven Wirklichkeit Gestalt zu geben. Dabei sollte der Leiter möglichst nicht-direktiv vorgehen und mit dem „Material“ arbeiten, welches der Protagonist vorgibt und ihm im therapeutischen Setting nichts „überstülpen“, was nicht seinen Vorgaben bzw. seinem Erleben entspricht. Bringt der Leiter, ein Doppel oder ein Hilfs-Ich Aspekte ins Spiel, die aus seiner Intuition oder seinem Erfahrungshintergrund heraus formuliert werden , so sollten sie als Angebot oder als Frage an den Protagonisten herangetragen werden, so dass dieser die Entscheidung treffen kann, den Aspekt in den therapeutischen Prozess mit aufzunehmen oder zu verwerfen. Dabei müssen sowohl der Leiter als auch die Gruppenmitglieder in ihren jeweiligen Rollen innerhalb ihrer Interventionen dem Protagonisten mit einem hohen Maß an Empathie begegnen, d.h. ihn einfühlend und nicht wertend zu verstehen. Im Idealfall fühlen sich der Leiter und die Gruppe in der Weise in den Protagonisten ein, in der sie anstreben, seine Emotionen möglichst genau zu begreifen und mitzuerleben, ohne dabei ihre eigene Identität  und die Distanz zum Protagonisten und zu dessen Thema zu verlieren. Dabei muss das, was der Protagonist zum Ausdruck bringt nicht unbedingt für gut befunden werden, sondern in seiner individuellen Besonderheit ohne Vorurteil und Wertung angenommen werden.

Hierbei hat insbesondere der Leiter im Sinne seiner humanistischen Haltung darauf zu achten, dass eine ausgeprägte Therapeut-Klient-Hierarchie  nicht entsteht. Der Leiter im Humanistischen Psychodrama ist kongruent, d.h. in Übereinstimmung mit sich selbst. Er ist sich ohne Furcht der Vielschichtigkeit seiner eigenen Gefühle und Einstellungen bewusst und darf diese auch zeigen, was nicht bedeutet, dass er alles ungefiltert an den Protagonisten weitergibt, sondern dass er in angemessener Weise transparent machen darf, was er für den Entwicklungsprozess des Protagonisten als förderlich erachtet. Der Leiter lässt somit eine von Echtheit geprägte Begegnung von Mensch zu Mensch zu, in der die eventuell vorhandenen Unterschiede im Bildungsgrad oder Wissensstand zweitrangig sind.

In dieser Art von Beziehung profitieren Gruppenmitglieder und Leiter gleichermaßen, indem sie sich entwickeln und hinzulernen können.

Neben der besonderen Betonung des humanistischen Ansatzes macht zugleich auch die besondere Ausrichtung des gruppentherapeutischen Ansatzes im Humanistischen Psychodrama spezifische Haltungen beim Leiter notwendig:

die besondere Achtung der Individualität in ihrer sozialen Verantwortlichkeit durch den Leiter führt in der Regel zu einem vertrauensvollen Gruppenklima

wichtig ist zudem die Beachtung einer organisch-entfaltenden, am Gruppenprozess orientierten Begleitung sowie

der Einsatz der verschiedenen psychodramatischen Methoden durch den Leiter

Das Thema des Einzelnen, des Anderen und der Gruppe im humanistischen Psychodrama

Genauso wie im Alltag finden Kommunikation und Interaktion in einer Humanistischen Psychodramagruppe nicht einfach abstrakt statt, sondern über Themen.  In der Erwärmungsphase bekommen die Gruppenmitglieder die Möglichkeit, sich einem Thema der Psychodynamik innerhalb der Gruppe oder einem eigenen Thema aus ihrem innerpsychischen oder sozialen Kontext außerhalb der Gruppe zu nähern und dieses zu konkretisieren. Im weiteren Verlauf findet eine Verknüpfung der Gruppenmitglieder untereinander statt, in der die Gruppenmitglieder durch soziometrische Wahlverfahren entscheiden, für welches Thema der anderen Gruppenmitglieder sie sich am stärksten interessieren bzw. mit welcher Person und deren Thema sie gerne weiterarbeiten möchten. Wird im Zuge der Bearbeitungsphase ein Protagonist gesucht, beispielsweise für die Durchführung eines Protagonistenspiels, so wählen die Gruppenmitglieder untereinander das Thema des Gruppenmitgliedes, für welches sie am meisten erwärmt sind und welches somit das Gruppenthema repräsentiert. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass die Bereitschaft der Gruppe, an einem Thema zu arbeiten umso höher ist, je mehr die einzelnen Gruppenmitglieder an dem Thema interessiert sind bzw. sich damit identifizieren können. Idealerweise können die Gruppenmitglieder auf diesem Wege über die Arbeit am Gruppenthema ihr eigenes Thema mitbearbeiten.

Hierin unterscheidet sich das humanistische Psychodrama vom klassischen Psychodrama. Im klassischen Psychodrama wählt mitunter der Leiter den Protagonisten und somit das zu bearbeitende Thema, auch ist es hier möglich, dass die Gruppenmitglieder untereinander über die Dringlichkeit der Bearbeitung ihres Themas in Verhandlung treten.