ADHS - Daten und Fakten

Dr. med. Katharina Larisch
Übertragung aus dem Deutschen - Evgeny Sheronov

Eine Krankheit, viele Begriffe

ADHS ist die Abkürzung für Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung. Aufmerksamkeitsschwäche, überschießende Impulsivität und extreme Unruhe (Hyperaktivität) sind Kennzeichen der Störung. Die Krankheit hat noch andere Namen: Hyperkinetisches Syndrom oder Aufmerksamkeits-Defizit-Störung (ADS). Meist treten die Symptome bei kleinen Kindern auf, bleiben aber oft bis ins Erwachsenenalter bestehen.

ADHS ist keine moderne Zivilisationskrankheit, sondern tauchte schon vor mehr als 100 Jahren auf. 1848 beschrieb der deutsche Nervenarzt Heinrich Hoffmann das „Zappel-Philipp-Syndrom“ im Struwwelpeter: „Er gaukelt und schaukelt, er trappelt und zappelt auf dem Stuhle hin und her…“, so ein Auszug aus der Geschichte. Der englische Kinderarzt George Still sprach 1902 in Vorlesungen von einem „Defekt in der moralischen Kontrolle bei Kindern“ („defect of moral control in children“).

Mehr Jungen als Mädchen

Etwa zwei bis sechs Prozent aller Kinder in Deutschland leiden Schätzungen zufolge an ADHS. Jungen sind deutlich häufiger betroffen als Mädchen, allerdings zeigt sich ADHS bei beiden Geschlechtern anders: Bei Jungen steht meist die Hyperaktivität im Vordergrund („Zappel-Philipp“), während bei Mädchen eher die Aufmerksamkeit gestört ist („Träumsuse“). Es ist deshalb auch möglich, dass ADHS bei Mädchen seltener erkannt wird. Bei rund 60 Prozent der Betroffenen verschwinden die Symptome nicht, sondern bleiben bis ins Erwachsenenalter bestehen.

Schlechte Filterleistung

Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass eine gestörte Signalübermittlung im Gehirn die Ursache für ADHS ist. Eine wichtige Rolle spielen die Botenstoffe Dopamin und  Noradrenalin, deren Stoffwechsel gestört ist. Beide Substanzen sind für Aufmerksamkeit, Antrieb und Motivation wichtig. Bei ADHS-Kindern übertragen diese Neurotransmitter die Informationen zwischen den Gehirnzellen nur eingeschränkt.

Permanent dringen bei ADHS-Patienten neue, ungefilterte Informationen in das Gehirn, weil die Signale im Gehirn nicht ausreichend gehemmt werden. ADHS-Betroffenen fällt es deshalb schwer, sich zu konzentrieren und zu motivieren. Auch der Abgleich von eingehenden Informationen mit bestehenden Erfahrungen gelingt häufig nicht. Die Betroffenen haben deshalb große Schwierigkeiten, Handlungen vorausschauend zu planen.

Aber auch das Lebensumfeld hat einen Einfluss auf ADHS. Beengte Wohnverhältnisse, die Erziehungshaltung der Eltern (zum Beispiel mangelnde Zuwendung oder Konsequenz), eine hektische Umwelt, geringe Bewegungsmöglichkeiten oder Zeitdruck wirken ungünstig und können die ADHS-Symtome verstärken.

ADHS – Ja oder nein?

Nicht jeder kleine Wirbelwind leidet unter ADHS. Es gibt genaue Kriterien zur Diagnose von ADHS. Wichtig ist es, andere Erkrankungen wie Epilepsie oder Depressionen auszuschließen. Abzugrenzen sind auch altersgemäße Verhaltensweisen in bestimmten Entwicklungsphasen. Mindestens sechs der folgenden Symptome von Unaufmerksamkeit müssen seit wenigstens sechs Monaten oft auftreten:

  • Beachtet Einzelheiten nicht genau oder macht Flüchtigkeitsfehler.
  • Hat Mühe, sich längerfristig zu konzentrieren.
  • Scheint nicht zuzuhören, wenn er/sie direkt angesprochen wird.
  • Führt Anweisungen nicht vollständig aus oder beendet Aufgaben nicht.
  • Hat Mühe, Aufgaben und Tätigkeiten planvoll abzuwickeln.
  • Übernimmt nur ungern, vermeidet oder verweigert Aufgaben, die anhaltende Konzentration erfordern.
  • Verliert Dinge wie Spielzeug oder Hausaufgabenhefte, die für bestimmte Aufgaben notwendig sind.
  • Wird leicht durch unwesentliche Reize abgelenkt.
  • Ist vergesslich bei Alltagstätigkeiten.

ADHS kann auch vorliegen, wenn mindestens sechs der folgenden Symptome von Hyperaktivität-Impulsivität oft und seit wenigstens sechs Monaten auftreten und diese nicht Merkmale einer altersgemäßen Entwicklung sind:

  • Zappelt oder windet sich auf dem Stuhl.
  • Sitzt ungern und verlässt den Sitzplatz, auch wenn Sitzen erwartet wird.
  • Rennt herum oder klettert überall hoch – auch in unpassenden Situationen.
  • Ist beim Spielen meist sehr laut.
  • Ist umtriebig oder benimmt sich wie von einem Motor angetrieben.
  • Redet übermäßig viel.
  • Platzt mit der Antwort heraus, bevor Fragen komplett gestellt sind.
  • Hat Mühe zu warten, bis er/sie an der Reihe ist.
  • Unterbricht oder stört andere bei Unterhaltungen oder Spielen.

Weitere Hinweise auf AHDS sind:

  • Einige Symptome waren bereits vor dem siebten Lebensjahr vorhanden.
  • Sie treten nicht nur zu Hause oder in der Schule, sondern in mindestens zwei verschiedenen Umgebungen auf.
  • Sie führen zu einer deutlichen Beeinträchtigung im sozialen, Lernleistungs- oder beruflichen Bereich.

Träumsuse oder Zappelphilipp

ADHS zeigt sich nicht bei jedem Menschen in gleicher Form und Ausprägung. Bei manchen steht beispielsweise die Unruhe im Vordergrund, bei anderen die Unaufmerksamkeit. Prinzipiell teilt man ADHS in drei verschiedene Untergruppen ein:

  • Vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ: „Zappelphilipp“
  • Vorwiegend aufmerksamkeitsgestörter Typ: „Träumsuse“ (häufiger bei Mädchen)
  • Misch-Typ: Aufmerksamkeitsgestört und hyperaktiv

Die Symptome von ADHS sind je nach Alter sehr unterschiedlich. So ist es durchaus normal, wenn sich ein dreijähriges Kind schlecht konzentrieren kann. Bei einem Siebenjährigen wäre dieses Symptom aber auffällig.

ADHS im Säuglingsalter: Unerklärliche lang andauernde Schreiphasen, motorische Unruhe, Ess- und Schlafprobleme, Ablehnung von Körperkontakt, Misslaunigkeit.

ADHS im Kleinkindalter (einschließlich Kindergartenalter): Plan- und rastlose Aktivität, schnelle, häufige und unvorhersagbare Handlungswechsel, geringe Ausdauer bei Einzel- und Gruppenspiel, ausgeprägte Trotzreaktionen, unberechenbares Sozialverhalten, Teilleistungsschwächen beim Hören, Sehen, Fein- und Grobmotorik, vermehrte Unfallgefährdung, auffallend früher Spracherwerb oder verzögerte Sprachentwicklung, keine beständigen Freundschaften.

ADHS im Grundschulalter: Mangelnde Regelakzeptanz in Familie, Spielgruppe und Klassengemeinschaft, Stören im Unterricht, wenig Ausdauer, starke Ablenkbarkeit, emotionale Instabilität, geringe Frustrationstoleranz, Wutanfälle, aggressives Verhalten, grobes Schriftbild, chaotisches Ordnungsverhalten, andauerndes Reden, Geräuschproduktion, überhastetes Sprechen (Poltern), unpassende Mimik, Gestik und Körpersprache, Ungeschicklichkeit, häufige Unfälle, Lese-Rechtschreib-Schwäche, Rechenschwäche, Lern-Leistungsprobleme mit Klassenwiederholungen, Umschulungen, keine dauerhaften sozialen Bindungen, Außenseitertum, niedriges Selbstbewusstsein.

ADHS im Jugendalter: Unaufmerksamkeit, „Null-Bock-Mentalität“, Leistungsverweigerung, oppositionell-aggressives Verhalten, stark vermindertes Selbstwertgefühl, Ängste, Depressionen, Kontakte zu sozialen Randgruppen, häufigere Verkehrsunfälle, Neigung zu Delinquenz, Alkohol, Drogen.

ADHS im Erwachsenenalter: Schusseligkeit, Vergesslichkeit, Mühe, Aufgaben zu planen und zu Ende zu bringen, Unbeständigkeit von beruflichen und sozialen Bindungen, Ängste, Depression, Jähzorn, Neigung zu Delinquenz, Alkohol, Drogen.

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