Tourette-Syndrom (TS)

Christiane Fux - ins Russische übertragen von Evgeny Sheronov
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Das Tourette-Syndrom (TS) ist eine neuropsychiatrische Erkrankung, die sich in sogenannten Tics äußert. Unter Tics versteht man spontane Bewegungen, Laute oder Wortäußerungen, die ohne den Willen des Betroffenen zustande kommen. Vergleichbar ist das mit dem Niesen oder einem Schluckauf. Tics beim Tourette-Syndrom lassen sich nur bedingt kontrollieren. 

Tourette-Syndrom: Beschreibung

Zuckende Arme, Grunzen und Schnauben oder auch ein mehrfaches Brüllen von Schimpfworten und Obszönitäten wie „Fette Sau!“ oder „Heil Hitler!“ – Menschen mit Tourette-Syndrom können in ihrer Umwelt für einige Irritation sorgen. Abhängig davon, wie häufig und heftig diese Tics sind, schränken sie die Lebensqualität der Betroffenen erheblich ein.

Tourette-Syndrom bei Kindern

Das Tourette-Syndrom ist keine seelische Störung, sondern eine neuropsychiatrische Erkrankung. Dabei versagen die Filterfunktionen der motorischen Kontrolle. Tourette beginnt meist in der Kindheit, seltener auch in der Jugend. Gerade jüngere Kinder machen häufig eine Phase mit Tics durch, die nach einigen Monaten wieder von alleine verschwinden. Bei jedem zehnten Kind verstärken sich die Symptome – es entwickelt sich ein Tourette-Syndrom. Per Definition handelt es sich um Tourette, wenn mehrere motorische Tics (Bewegungen) gemeinsam mit mindestens einem vokalen Tic (Lautäußerungen) vorkommen und diese mindestens ein Jahr lang anhalten.

Bei den meisten Betroffenen bessern sich die Symptome nach der Pubertät oder verschwinden sogar ganz. Andere begleiten die Tics durchs ganze Leben. Jungen sind viermal so oft betroffen wie Mädchen. Die Gründe dafür sind bislang unbekannt.

Erstmals beschrieb die Erkrankung 1885 französische Mediziner Gille de la Tourette, er ist der Namensgeber für das „Gilles-de-la-Tourette-Syndrom“.

Experten schätzen, dass rund ein Prozent der Menschen ein Tourette-Syndrom entwickeln – in Deutschland wären das 800.000. Nur ein geringer Teil ist jedoch so stark betroffen, dass die Erkrankung behandlungsbedürftig ist.

Einteilung in Schweregrade

Mithilfe der Tourette-Syndrom-Schweregradskala (TSSS) lässt sich der Schweregrad der Krankheit bestimmen.

  • Geringe Beeinträchtigung: Die Tics beeinträchtigen das Verhalten in der Schule oder im Berufsleben nicht. Außenstehende bemerken die Störung kaum. Der Betroffene empfindet sie als unproblematisch.
  • Mäßige Beeinträchtigung: Die Tics fallen auch Außenstehenden auf, daher kommt es immer wieder zu Irritationen. Außerdem erschweren sie das Ausführen bestimmter Aufgaben in Schule oder Beruf.
  • Schwere Beeinträchtigung: Die Tics sind so auffällig, dass sie soziale Kontakte massiv stören und die Leistungsfähigkeit vermindern. Für die Betroffenen sind sie eine schwere Belastung.

 

Tourette-Syndrom: Symptome

Ein Tourette-Syndrom äußert sich in sogenannten Tics. Das können unwillkürliche Bewegungen oder Lautäußerungen sein. Der Begriff Tic stammt aus dem Französischen und bedeutet soviel wie „Zucken“. Man unterscheidet motorische und vokale Tics sowie einfache und komplexe Tics.

Motorische Tics

Einfache motorische Tics sind beispielsweise Augenzwinkern, Schulterzucken, Kopfrucken oder Grimassen schneiden.

Komplexe motorische Tics sind das Berühren von Gegenständen oder Menschen, Körperverdrehungen oder Gliederzucken. Auch obszöne Gesten können auftauchen (Kopropraxie). Manchmal kommt es zu selbstverletzenden Handlungen – die Betroffenen schlagen ihren Kopf gegen die Wand, kneifen sich oder stechen sich mit einem Stift.

Vokale Tics

Einfache vokale Tics äußern sich beispielsweise in Lauten wie Räuspern, Quieken, Grunzen, Schnüffeln oder Schnalzen mit der Zunge.

Komplexe vokale Tics sind Wörter oder Sätze, die herausgeschleudert werden und in keinem logischen Zusammenhang mit der Situation stehen. Häufig sind das Obszönitäten oder Schimpfwörter (Koprolalie).

Die Palette an Tics ist riesig und individuell ganz verschieden. Sie verändern sich im Laufe der Zeit und es können neue Symptome hinzukommen. Manche Betroffene werden von anderen Tourette-Patienten sogar „inspiriert“ – nach einer Begegnung übernehmen sie deren Tics.

Die Tics verschwinden auch nicht während des Schlafes und treten in allen Schlafstadien auf. Sie sind dann allerdings abgeschwächt. In der Regel hat der Patient das Auftreten der Tics am nächsten Morgen vergessen.

Wandelbares Krankheitsbild

Ein Tourette-Syndrom beginnt meist in der Kindheit mit einfachen motorischen Tics, die sich nach und nach steigern können. Später können Lautäußerungen hinzukommen. Die Tics treten oft in Serie auf. Einige Betroffene haben nur ab und zu Tics – andere fühlen sich dauernd zum „austicken“ gezwungen.

Die Tics lassen sich für gewisse Zeit unterdrücken, kommen dann aber später um so heftiger zum Ausbruch. Manchen Betroffenen gelingt es, sich während der Arbeit oder in der Schule zu beherrschen. Zuhause lassen ihren Tics dann freien Lauf. Andere haben so gut wie keine Kontrolle über die Symptome.

Die Tics treten mehrmals täglich auf, meistens anfallsartig. Das geschieht entweder fast jeden Tag, oder sie verschwinden für einige Zeit und tauchen dann wieder phasenweise auf.

Bei emotionaler Erregung wie Freude, Ärger oder Angst verstärken sich die Symptome. Gleiches gilt für Stress. Sind die Patienten stark auf eine Sache konzentriert, nehmen die Tics hingegen ab.

Vorzeichen von Tics

Manchmal kündigen sich die Tics durch sensomotorische Vorzeichen an, beispielsweise Kribbeln oder Spannungsgefühle. Diese unangenehmen Empfindungen verschwinden, wenn der Tic ausgeführt wird. In der Regel bemerken aber auch die Betroffenen den Tic erst mit seinem Auftauchen.

Weitere Störungen

Rund 90 Prozent aller Patienten mit Tourette-Syndrom entwickeln weitere Störungsbilder. Dazu gehören:

  • Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
  • Zwangsstörungen
  • Schlafstörungen
  • Depressionen
  • Angststörungen
  • Soziale Phobien

 

Tourette-Syndrom: Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen des Tourettesyndroms sind bislang nur ansatzweise erforscht. Man geht davon aus, dass Tourette-Fälle zum größten Teil genetisch veranlagt ist. So ist das Tourette-Risiko für Kinder, deren Eltern das Syndrom haben, zehn- bis hundertmal höher als für Kinder ohne Tourette-Syndrom in der Verwandtschaft. Damit es sich entwickelt, müssen zusätzliche Auslöser in der Umwelt hinzukommen, beispielsweise Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen.

Gestörter Botenstoffwechsel

Bekannt ist, dass beim Tourette-Syndrom der Botenstoffwechsel im Gehirn gestört ist. Insbesondere der Neurotransmitter Dopamin spielt eine entscheidende Rolle. Dopamin ist im Gehirn für das Weiterleiten von Informationen wichtig. Untersuchungen haben unter anderem gezeigt, dass die Zahl der Dopaminrezeptoren im Gehirn der Patienten mit Tourette-Syndrom erhöht ist. Aber auch ein gestörter Serotonin-, Noradrenalin-, Glutamin- und Opioidhaushalt sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen Stoffen scheinen eine Rolle zu spielen.

Die Störungen manifestieren sich vor allem in den sogenannten Basalganglien. Dies Hirnareale befinden sich in den tieferen Strukturen beider Gehirnhälften und erfüllen eine Art Filterfunktion. Sie regulieren, welche Impulse ein Mensch in Handlungen umsetzt und welche nicht.

Bakterien als Auslöser

In seltenen Fällen vermutet man, dass eine Infektion mit Streptokokken der Gruppe A die ein Tourette-Syndroms aufflammen lässt. Dazu gehört Scharlach. Die Antikörper, die der Patient gegen die Bakterien entwickelt, können ins Gehirn wandern und dort die Basalganglien attackieren.

Tourette-Syndrom: Untersuchungen und Diagnose

Ein Tourette-Syndrom wird häufig erst Jahre nach dem Auftreten der ersten Symptome diagnostiziert. Da die Erkrankung für Missverständnisse sorgt und die Mitmenschen verärgert, ist das problematisch. Die Kinder gelten vielleicht als frech und halsstarrig, die Eltern machen sich Sorgen, weil ihre Erziehung offenbar nicht recht fruchtet. In solchen Fällen ist die Diagnose für alle Betroffenen eine Erleichterung.

Manche Menschen mit Tourette können ihre Tics über Stunden kontrollieren, sodass der Arzt sie nicht selbst begutachten kann. Die Diagnose des Tourette-Syndroms beruht daher oft auf der Beobachtung und Beschreibung der Tics. Jüngere Kinder bemerken diese oft gar nicht selbst. Dann sind es die besorgten Eltern, die dem Arzt von ihren Symptomen berichten.

Wichtige Fragen sind:

  • Wie äußern sich die Tics?
  • Wo, wie oft und wie stark treten sie auf?
  • Hat Stress einen verstärkenden Einfluss auf das Tourette-Syndrom?
  • Lassen sich die Symptome unterdrücken?
  • Kündigen sie sich durch eine Art Vorgefühl an?
  • In welchem Alter traten die Tics zum ersten mal auf?
  • Verändern sich die Symptome bezüglich Art, Stärke und Häufigkeit?
  • Gab es innerhalb der Familie bereits Fälle von Tourette-Syndrom?

Für die Diagnose Tourette-Syndrom müssen die Tics seit mindestens einem Jahr bestehen und sich vor dem 18. Lebensjahr manifestiert haben. Es müssen verschiedene Tic-Formen aufgetreten sein, darunter mehrere motorische und mindestens ein vokaler Tic.

Für das Tourette-Syndrom gibt es bislang keine Labortests oder neurologische und psychiatrische Untersuchungen, mit deren Hilfe sich die Diagnose stellen lässt. Untersuchungen dienen daher vor allem dazu, andere Ursachen für Tics oder ticähnliche Symptome auszuschließen.

Das können sein:

  • Nebenwirkungen von Medikamenten (beispielsweise Neuroleptika)
  • Hirntumore
  • Epilepsie
  • Entzündung des Gehirns (Enzephalitis)
  • Chorea (verschiedene Fehlfunktion der Basalganglien, die sich in unwillkürliche Bewegungen äußern)
  • Ballismus (neurologische Erkrankung, bei der die Patienten abrupt schleudernde, wurfartige Bewegungen ausführen)
  • Myoklonus (unwillkürliche, plötzliche kurze Muskelzuckungen unterschiedlichen Ursprungs)
  • Streptokokkeninfektionen

Bei der Abklärung kann ein Elektroenzephalogramm (EEG) helfen sowie eine Blutuntersuchung, mit der sich Streptokokkeninfektionen nachweisen lassen. Letztere ist vor allem sinnvoll, wenn das Kind eine Mittelohrentzündung oder Scharlach hatte.

 

Tourette-Syndrom: Behandlung

Ein Tourette-Syndrom ist derzeit noch nicht heilbar. Vorhandene Therapien können die Symptome zwar bessern, haben aber keinen Einfluss auf den Verlauf der Krankheit. Trotzdem gibt es eine ganze Reihe von Angeboten, die das Leben mit einem Tourette-Syndrom leichter machen. Auf welche Option letztendlich die Wahl fällt, hängt nicht nur von der Stärke der Symptome ab, sondern auch davon, wie stark die psychosoziale Belastung für den Patienten ist. So fühlen sich manche Betroffene mit relativ ausgeprägten Tics von diesen wenig gestört, während anderen schon leichtere Tics schwer zu schaffen.

Zu Beginn der Therapie erfolgt immer eine psychoedukative Beratung. In ihrem Rahmen werden die Patienten umfassend über die Erkrankung aufgeklärt, was viele bereits entlastet.

Bei mäßigen Beschwerden hilft in vielen Fällen eine Verhaltenstherapie, um die Tics besser in den Griff zu kriegen. In schweren Fällen können Medikamente helfen. Zur Verfügung steht eine ganze Palette von Wirkstoffen – allerdings haben sie häufig gravierende Nebenwirkungen. Diese reichen von Müdigkeit, Schwindel und Gewichtszunahme bis hin zu einer gestörten Sexualfunktion. Auch mit Medikamenten verschwinden die Tics nicht vollständig. Relaistisch ist eine Reduktion um bis zu 50 Prozent.

Wenn auch Medikamente versagen, besteht die Chance, die Tics mithilfe eines Hirnschrittmachers zu bändigen.

Entscheidend ist es, neben dem Tourette-Syndrom auch begleitende Krankheiten zu behandeln wie ADHS, Zwangsstörungen und Schlafstörungen. Häufig bessern sich dann auch die Tics.

Psychoedukative Beratung

Im Rahmen einer psychoedukativen Beratung werden Patienten und ihre Eltern über die Hintergründe und die Prognose eines Tourette-Syndroms informiert. Mitunter ist das bereits so entlastend, dass sie die Tics besser tolerieren können. Schwindet das Gefühl der Belastung, sinkt auch der Stress, den die Erkrankung mit sich bringt.In dem Fall wird die Entwicklung der Krankheit lediglich beobachtet, um bei einer Verschlimmerung weitere Maßnahmen ergreifen zu können.

Verhaltenstherapeutische Behandlung

Im Rahmen einer Verhaltenstherapie erlernen die Patienten ihre Tics besser zu kontrollieren. Als besonders effektiv hat sich das Habit Reversal Training (HRT) erwiesen. Es basiert auf der Vorstellung, dass problematische Verhaltensauffälligkeiten teilweise unbewusst stattfinden und durch ständiges Wiederholen irgendwann automatisch ablaufen. Im HRT schulen die Patienten ihre Selbstwahrnehmung und lernen die automatisierten Verhaltensketten durch alternative Handlungen zu unterbrechen.

Ebenfalls effektiv scheint eine Kombination aus Expositionsbehandlung und Response Prävention, die sonst vor allem zur Behandlung von Zwangsstörungen eingesetzt wird. Patienten, bei denen sich der Tic durch ein Vorgefühl wie Kribbeln oder Spannungsempfindungen ankündigt, lernen, dass darauf nicht zwangsweise ein Tic folgen muss. Ersten Studien zufolge führen beide Techniken zu einer Tic-Reduktion von 30 bis 35 Prozent.

Darüber hinaus lassen sich mit verhaltenstherapeutischen Maßnahmen auch die seelischen Folgen der Erkrankung auffangen. Dazu zählen ein lädiertes Selbstwertgefühl, Unsicherheit im Umgang mit anderen, soziale Phobien, Angststörungen und Depressionen.

Das Erlernen einer Entspannungstechnik kann die Verhaltenstherapie ergänzen. Mit ihrer Hilfe lässt sich Stress abbauen, der die Symptome sonst verstärken würde.

Medikamente

Medikamente zur Behandlung de Tourette-Syndroms haben Nebenwirkungen – zum Teil gravierende. Wenn der Patient stark unter seinen Tics leidet, sollten sie dennoch eingesetzt werden. Das ist beispielsweise nötig wenn:

  • Der Patient aufgrund von Tics unter Schmerzen leidet (z. B. Nacken, Rückenschmerzen) oder sich selbst verletzt.
  • Der Patient aufgrund seiner Tics sozial ausgegrenzt, gehänselt oder gemobbt wird. Dies ist vor allem bei vokalen Tics und bei starken motorischen Tics der Fall.
  • Der Patient aufgrund seiner Erkrankung emotionale Probleme wie Ängste, Depressionen, soziale Phobien oder ein geringes Selbstwertgefühl hat.
  • Der Patient aufgrund der Symptome Schwierigkeiten hat, bestimmte Handlungen durchzuführen, einzuschlafen oder auch in seiner Kommunikationsfähigkeit gestört ist.

Die meisten Medikamente, die zur Behandlung des Tourette-Syndroms eingesetzt werden, zielen auf den Dopaminstoffwechsel im Gehirn. Die sogenannten Dopaminrezeptor-Antagonisten docken an die verschiedenen Dopaminrezeptoren an und blockieren sie für den Hirnbotenstoff. Dazu gehören vor allem die verschiedenen Vertreter von antipsychiotisch wirkenden Medikamenten (Neuroleptika).Sie gelten für die Behandlung des Tourette-Syndroms als Medikamente der ersten Wahl. Für die Therapie wird die Dosis langsam gesteigert, bis sich eine positive Wirkung entfaltet.

Klassische Neuroleptika: Haloperidol ist der einzige Wirkstoff, der in Deutschland ausdrücklich zur Behandlung des Tourette-Syndroms zugelassen ist. Er hilft rund 70 Prozent der Patienten. Wegen seiner Nebenwirkungen wird er inzwischen hierzulande überwiegend dann eingesetzt, wenn andere Medikamente versagen. Das gilt auch für Pimozid, das derselben Medikamentenklasse angehört. Zu den unerwünschten Begleitsymptomen zählen Müdigkeit, Gewichtszunahme und eine gestörte Sexualfunktion.

Atypische Neuroleptika: Diese Wirkstoffekönnen die Tourette-Symptome ebenfalls reduzieren. Risperidon beispielsweise vermindert die Tics um 41 bis 62 Prozent. Außerdem mindert es aggressive Verhaltensweisen, die manche Tourette-Patienten entwickeln. Problematisch sind auch hier Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Prolaktinerhöhung und Sexualfunktionsstörungen. Ein weiteres atypisches Neuroleptikum, das bei Tourette verordnet wird, ist Aripiprazol.

Benzamide: Benzamide wieTiaprid und Sulpirid hemmen die sogenannten D2-Rezeptoren im Gehirn.Sie helfen zwar gut, gehen aber mit Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel, Appetit- und Gewichtszunahme, Hyperprolaktinämie und Sexualfunktionsstörungen einher. Tiaprid wird häufig bei Kindern angewendet, da es ihre geistige Entwicklung und Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Sulpirid wird vor allem Erwachsenen verordnet.

Tetrabenazin leert die Dopaminspeicher im Gehirn. Erste Studien weisen darauf hin, dass es Tics vermindern kann. Möglicherweise treten aber häufiger Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Depressionen auf, sodass es bevorzugt zum Einsatz kommt, wenn andere Medikamente versagen.

Noradrenerg-wirksame Substanzen: Clonidin, Guanfacin und Atomoxetin werden vor allem bei Kindern eingesetzt, die gleichzeitig unter ADHS leiden. Sie wirken zwar nicht ganz so gut wie Neuroleptika, helfen aber gegen beide Störungen. Nebenwirkungen sind unter anderem ein trockener Mund, Kopfschmerzen, Reizbarkeit und Schlafstörungen.

Dopamin-Agonisten: Dopamin-Agonisten wie Talipexol wurden bislang nur in wenigen Fällen zur Behandlung von Tourette eingesetzt. Die Berichte über die Wirksamkeit sind uneinheitlich.

Nikotin: Nikotin, beispielsweise in Form von Nikotinkaugummis oder –pflastern verabreicht, kann die den Effekt von Neuroleptika bei Tourette-Patienten möglicherweise verstärken. Außerdem erhöht es die Konzentrationsfähigkeit. Tatsächlich hat man in Einzelfällen beobachtet, das umgekehrt ein Rauchstopp die Symptome von Tourette-Patienten verstärkt.

Botulinumtoxin (Botox): Botoxinjektionen können bei Tics im Gesicht und Nacken helfen. Es gibt auch Berichte, denen zufolge Botox vokale Tics bessert.

Cannabis: Manche Patienten berichten, dass der Konsum von Cannabis ihre Symptome lindert. Bewiesen ist die Wirkung aber nicht. Seit Kurzem kann beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Antrag für eine Behandlung mit einem Cannabis-Extrakt oder –kraut gestellt werden.

Operationen: Tiefe Hirnstimulation

Für erwachsene Patienten, deren Lebensqualität durch das Tourette-Syndrom stark eingeschränkt ist und denen andere Therapien nicht ausreichend helfen, kommt eine tiefe Hirnstimulation infrage. Dazu wird ihnen ein Hirnschrittmacher unter die Bauchhaut gepflanzt, der über Elektroden das Gehirn elektronisch stimuliert.

Bei anderen Erkrankungen, insbesondere bei Parkinson, ist der Eingriff schon vergleichsweise verbreitet. Beim Tourette-Syndrom sind die Fallzahlen und damit die Erfahrung noch relativ gering. Insbesondere ist unklar, welcher Hirnregion bei welchem Patienten stimuliert werden muss. Der Behandlungserfolg ist daher sehr unterschiedlich: Bei manchen Patienten führt der Eingriff dazu, dass die Symptome fast vollständig verschwinden. Andere verspüren gar keinen Effekt.

 

Krankheitsverlauf und Prognose

Ein Tourette-Syndrom manifestiert sich in der Kindheit und Jugend – meist zwischen dem vierten und achten Lebensjahr. In der Regel beginnt die Erkrankung mit einfachen motorischen Tics, später kommen vokale Tics hinzu und die Symptome werden komplexer. Bei den meisten Betroffenen verändern sich die Tics laufend. Außerdem wechseln sich schlechtere Phasen mit leichteren ab. Für den Großteil der Patienten ist die Zeit zwischen dem achten und zwölften Lebensjahr besonders schwierig.

Generell ist die Prognose günstig. Bei zwei Dritteln der Kinder bessern sich die Symptome im Laufe der Zeit deutlich oder verschwinden sogar ganz. Ab einem Alter von 18. Jahren sind die Tics bei den meisten soweit zurückgegangen, dass sie nicht mehr stören.

Für das übrige Drittel ist die Prognose allerdings weniger günstig. Bei einigen von ihnen werden die Symptome im Erwachsenenalter sogar ausgeprägter. Der Verlust an Lebensqualität ist bei ihnen besonders groß.

Leben mit Tourette-Syndrom

Für die Umwelt ist das Verhalten von Menschen mit einem Tourette-Syndrom schwer nachvollziehbar und häufig auch störend. Vielen fällt es schwer zu akzeptieren, dass die Betroffenen ihren Tics weitgehend ausgeliefert sind. Sie reagieren ablehnend und aggressiv – insbesondere auf Beschimpfungen oder obszöne Gesten. Das gilt natürlich insbesondere dann, wenn die Patienten unter fremden Menschen sind.

Bei einigen Betroffenen frühen diese Missverständnisse und die Ablehnung durch die Umwelt verständlicherweise dazu, dass sie nur ungern unter Menschen gehen. Auch bestimmte Berufe auszuüben, insbesondere solche mit vielen sozialen Kontakten, ist für Menschen mit schwerem Tourette schwierig.

Positive Aspekte von Tourette

Menschen mit Tourette-Syndrom sind weniger kontrolliert als andere. Das kann auch Vorteile haben. Beispielsweise sind sie oft sehr reaktionsschnell. Das ist in vielen Sportarten ein großer Vorteil. Ein großer teil der Tourette-Pateinten leidet außerdem unter einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS). Diese Menschen sind besonders kreativ. Die Gedanken fließen weniger kontrolliert, was dazu frühen kann, dass leichter neue und ungewöhnliche Ideen entstehen.

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